Wir alle kennen das, dass wir unangenehmen, intensiven oder beängstigenden Emotionen ausweichen wollen. Zu früh haben wir gelernt, was „gute“ und „schlechte“ Gefühle sind, welche man vermeiden soll und welche man anstreben soll. Zu früh haben wir gelernt, dass wir, wenn wir gewisse Gefühle haben oder zeigen, nicht in Ordnung sind, nicht liebenswürdig, dass wir keine Aufmerksamkeit mehr bekommen oder die Kommunikation versiegt. Keine Wunder versuchen wir um jeden Preis, diese Gefühle zu vermeiden, erinnern sie uns doch implizit an schmerzhafte Erfahrungen oder (vermeintliche) drohende Gefahren.
Dieser Preis ist allerdings sehr hoch. Was kann passieren, wenn wir unliebsame Gefühle immer wieder wegschieben, uns sofort ablenken oder uns betäuben, um sie nicht zu spüren?
Die Kluft zwischen „positiven“ und „negativen“ Gefühlen wächst
Zum einen wird die bereits gelernte Kluft zwischen „guten“ und „schlechten“ bzw. „angenehmen“ und „unangenehmen“ Gefühlen zementiert oder noch grösser. Wir sind immer in einem inneren Optimierungskampf, möglichst viel der schönen Gefühle zu haben und möglichst viele der Unschönen wegzuschieben. Das verursacht Druck und zusätzliche Angst, dass vielleicht die lange weggeschobenen Gefühle doch irgendwann Überhand nehmen können.
Körperliche Symptome bei verdrängten Emotionen
Da Emotionen immer auch mit körperlichen Energieflüssen einhergehen, die wir unterbrechen, wenn wir ein Gefühl nicht „zu Ende“ fühlen können oder wollen, können verdrängte Emotionen zu Verspannungen, Schmerzen und anderen körperlichen Symptomen führen. Es ist, als würde eine Programmierung in uns sagen: „lieber nehme ich den körperlichen Schmerz in Kauf, anstatt den emotionalen Schmerz zu spüren“. Wenn sich dieses Programm verfestigt, können chronische Schmerzen entstehen und wir den Zugang zu den Gefühlen verlieren.
Innere und äussere Konflikte
Es kann auch sein, dass unsere abgelehnten Gefühle sich in Konflikten und Projektionen im Aussen zeigen. Wenn uns jemand provoziert und wir nie gelernt haben, eine Wut einfach mal für einen Moment bedingungslos im Körper spüren und „halten“ zu können und dadurch Zeit zu gewinnen, um sich zu überlegen, wie wir reagieren wollen, dann produzieren wir innert Sekundenbruchteilen eine aggressive Reaktion, weil wir die Wut nicht aushalten können. Da sich dann eher ein Streit entfacht führt das dazu, dass sich noch mehr (unaushaltbare) Wut anstaut – ein Teufelskreis entsteht.
Es ist auch möglich, dass sich verschiedene Emotionen wie „Schutzschichten“ übereinander lagern. Wenn wir z.B. das Gefühl von Ohnmacht überhaupt nicht aushalten können, kann es beispielsweise sein, dass wir generell aufbrausend und aggressiv reagieren, weil ein Programm in uns besagt „lieber in den Angriff gehen, als das Gefühl von Ohnmacht spüren“. Solange wir nicht entdecken, wie unsere Gefühle „geschichtet“ sind, bleiben wir häufig in automatischen, nicht konstruktiven Reaktionsmustern gefangen.
Die Vermeidungsstrategie
Und zu guter Letzt ist es auch möglich, dass wir unliebsame Gefühle nicht einfach wegschieben, sondern dass wir unser Leben in der Vermeidung leben. Wir leben dann so, dass die Gefühle, die wir als Tabu empfinden, erst gar nicht auftreten können. Das kann sich darin äussern, dass wir versuchen, den Anderen alles recht zu machen, um keine Kritik und die damit einhergehenden Gefühle zu erleben. Es kann sein, dass wir überhaupt keine Risiken und Veränderungen eingehen, weil wir die damit verbundenen Ängste nicht in Kauf nehmen wollen. Ein grosser Teil unserer Lebendigkeit und Authentizität geht uns durch dieses Verhalten abhanden.
Was sind nun wichtige Schritte, um in die emotionale Selbstfürsorge zu kommen?
Der erste Schritt überhaupt ist, die Gefühle wieder lernen wahrzunehmen. Sie benennen können. Sie im Körper zu spüren und zu erleben, dass es „sicher“ ist, auch unangenehme Emotionen im Körper „fliessen“ und eben „passieren“ zu lassen, bis sie vorbei sind. Verschiedene Atemtechniken wie z.B. tiefe, verbundene Atmung (Breathwork), Yoga oder Meditation können bei diesem ersten Schritt sehr hilfreich sein.
Dann ist es wichtig, dass wir lernen, die unangenehmen Gefühle nicht nur zu halten/auszuhalten, sondern ihnen gegenüber zusätzlich eine zugewandte Haltung zu entwickeln und zu erkennen, welche unbefriedigten Bedürfnisse hinter der Emotion verborgen sind, damit wir Wege finden können, diese zu befriedigen. Hierbei kann die körperzentrierte Herzensarbeit nach Safi Nidiaye und/oder die Arbeit mit dem Inneren Kind sehr hilfreich sein.
Weiter ist es zentral zu erkennen, wann die Emotionen besonders stark auftreten. Welche familiären Prägungen, welche emotionalen Schmerzen aus der Kindheit stecken hinter den schwierigen Gefühlen? Häufig haben wir sogenannte „Urschmerzen“ von „ich bin nicht gut genug“, „ich bin ganz alleine“ etc. abgespeichert, welche durch spätere Trigger immer wieder neu aktiviert werden und heftige Emotionen hochkommen lassen. Familienaufstellungen sind dabei eine sehr nützliche Methode, um alten emotionalen Schmerz loszulassen und den Familienmitgliedern zu vergeben. Dadurch stellt sich mehr innerer Frieden ein und der Emotionshaushalt kommt in Balance.
Eng damit in Zusammenhang steht auch das Hinterfragen von mentalen Auslösern der Emotionen. Welche Annahmen über meine Mitmenschen hege ich, die diese Gefühle so stark auslösen? Welche allenfalls unbewussten Glaubenssätze trage ich in mir über das Fühlen und Zeigen von Emotionen? Mögliche Beispiele hierbei sind z.B. „Wenn ich diese Trauer zulasse, ertrinke ich darin“. „Wenn ich meine Wut einmal ganz spüren würde, könnte ich für nichts mehr garantieren“ etc. Glaubenssatzarbeit, z.B. nach Byron Katie, ist eine sehr effektive Methode, um diese Annahmen bewusst zu machen und Stück für Stück zu entkräften.
Begleitet oder alleine?
Viele der oben genannten Methoden kannst Du Dir über Bücher selbst aneignen. Grundsätzlich ist es zu empfehlen – vor allem bei sehr starken/beängstigenden Emotionen – diese Emotionen mit einem geschulten Gegenüber zu erforschen. Das gibt Sicherheit, sich überhaupt auf Erfahrungen einzulassen, die man bisher abgelehnt hat. Ausserdem kannst Du die entsprechenden Methoden auch meist einfacher erlernen, wenn jemand Erfahrenes einem diese vermittelt.
Wenn Du Dich bei Deiner emotionalen Selbstfürsorge von mir begleiten lassen möchtest verweise ich Dich gerne auf das nächste Selbstliebe-Retreat vom 9.-12. November 2023 oder eine 1:1-Coaching-Begleitung via Zoom.